3.10.1493

3.10.1493

2012

Das Bewusstwerden, dass die Kluft zwischen dem, was ich war, und dem, was ich jetzt bin und zunehmend werde, schürt immer stärker die Angst vor einem so genannten „reverse cultural shock“ in mir. Was, wenn ich nochmals nach Europa zurück gehe? Kann ich mich dort wieder ins Wertesystem einfinden oder habe ich mich bis dahin bereits zu stark und zu irreversibel verändert? Werde ich dann von dem geschockt werden, was mir einst so vertraut war? Oder werde ich kulturell auch im fortgeschrittenen Alter weiterhin so flexibel und anpassungsfähig bleiben, dass ich selbst diese Rück-Programmierung schaffe…?

Valentina Baldauf aka Val Scholar
M – I – G – R – A – T – I – O – N
Pittsburgh 2015

HUBERT HASLER
GOES WEST

Nikolai
Vogel

Ein Blick durch ein Fernglas. Die Welt erkunden. Warum geht man woanders hin? Weil man leben will, überleben, oder weil man neu anfangen möchte, weitermachen, oder weil man neugierig ist, sich bewegen. Die Welt ist klein und die Welt ist groß. Man trifft sich überall. Und es gibt die, die sich weiter bewegen dürfen als andere. Glück der Geburt? Wer willkommen ist und wer nicht. Und dass oft gerade diejenigen von „Wirtschaftsflüchtlingen“ sprechen, die begeistert davon erzählen, wie billig dort alles war, wo sie ihren letzten Urlaub verbracht haben. Dass also oft nicht die Armen auf Kosten der Reichen leben, sondern die Reichen auf Kosten der Armen …

Hubert Hasler goes West. Der Europäer bricht auf in die Neue Welt, die längst nicht mehr so neu ist. Er geht dem Faszinosum nach, der Ausstrahlung einer Metropole wie New York. Und er will hier einige Migranten kennenlernen, aus der weiten Welt, von wo, wird er sehen. Er will etwas erfahren über ihre Jobs, indem er sie selbst macht. Und er will versuchen, ihre Familien zu besuchen, ihre in ihrer einstigen Heimat lebenden nächsten Verwandten, etwa die Großeltern. In Mexiko vielleicht oder auf Kuba. Ein Projekt über Migration, über Wanderbewegungen und über das schwierige Zusammenwachsen der Welt.

Ein weltoffener Blick, der den Migrationsbewegungen folgt. Von mitgereisten Pflanzen- und Tierarten aus Europa, wie Gänseblümchen, Fingerhut, Feldhase und Haussperling, bis zu eingeborenen Gattungen wie dem Bison, der von den die Landschaft in Besitz nehmenden Menschen fast ausgerottet worden ist.

Was heißt das denn, einheimisch? Nur, dass schon Zeit vergangen ist? Fundstücke, Begegnungen, Offenheit. Wir alle leben in der Welt. Auch wenn es oft den Anschein hat, dass es nicht eine einzige ist, sondern viele verschiedene.

Entdecker, Träume vom Reichtum, Verwegenheit. Christoph Kolumbus, immer noch. Von Bahía de Naos auf der Kanarischen Insel El Hierro, brach er im Oktober 1493 zu seiner zweiten Reise über den Atlantik auf, nachdem er dort haltgemacht und tagelang auf den richtigen Wind gewartet hatte. Das Ende der bekannten Welt als Ausgangspunkt. Hubert Hasler fotografierte hier, sein eigenes Projekt beginnend, den Blick durch ein Aussichtsfernrohr. Wie aus einem Bullauge. Oder wie aus einer schwarze Maske linsend – die Perspektive von Batman? Oder wie der im All schwebende Blaue Planet. Dem Blick folgen, nachsehen, das Bild erweitern. Ein Künstler, der improvisiert. Gebucht hat er nur den Hinflug. Zurückfahren aus Amerika will er auf einem Containerschiff.

Nikolai Vogel, Februar 2015